Das Übernachten außerhalb von Campingplätzen in Polen

In den polnischen Touristenhochburgen am Meer ist das Angebot an Campingplätzen groß und das Übernachten auf Stellplätzen verhältnismässig günstig. Da ich mein WoMo autark ausgestattet habe, bin ich zeitweise nicht auf Strom und Wasser von außerhalb angewiesen und nutze diese Unabhängigkeit abseits der Küstenstädte fürs „Freistehen“.

Über mein erstes Freisteh-Erlebnis am Stettiner Hafen unter dem Schutz der 3 Kräne habe ich bereits geschrieben. Die App „park4night“ leistet bei der Suche nach getesteten Standorten gute Dienste.

Freistehen #2 an einer Marina

Vor einigen Nächten bin ich auf einen Parkplatz an einer Marina gefahren. Dort liegen ein paar Boote und kleinere Yachten, es gibt 2 mobile Toiletten und sogar einen Wasserhahn zur Wasserversorgung.

Für einen abgeschiedenen Ort ist an einem Samstagabend viel los. Ich gehe über die Holzplanken, es zieht Nebel auf. Kalt ist es nicht, aber etwas unheimlich schon. Niemand beachtet mich – hoffe ich.

Es ist leicht, einen Parkplatz zu finden. Mit meiner Rückfahrkamera steuere ich meinen Fahrradträger direkt übers Feld – das WoMo paßt somit gut auf den Parkplatz. Ich würde gern durch meine Windschutzscheibe auf die Marina blicken, scheue mich aber, den anderen preiszugeben, daß ich alleine unterwegs bin. So ganz heimisch und vertraut ist mir Polen noch nicht, das liegt auch daran, daß ich mich schwer verständigen kann. Also ziehe ich meine Plissee-Vorhänge an der Windschutzscheibe zu und lausche, was um mich herum passiert.

Direkt neben mir hält ein Pkw. Der ganze Parkplatz ist frei und er parkt direkt neben meiner Aufbautür. Der Fahrer steigt nicht aus. Ich linse durch das Fenster der Aufbautür. Was macht er? Nichts. Minuten später steigt ein anderer Mann zu ihm ins Auto. Was passiert? Nichts. Kein heimliches Treffen zweier Verliebter, völlig unspektakulär. Weitere Minuten später (es ist ca. 20 Uhr) steigt ein dritter Mann dazu. Treffen die sich hier für eine Party? Für eine Fahrgemeinschaft liegt der Parkplatz viel zu weit draußen. Bierbüchsen werden geöffnet – also doch eine Party.

Einige Minuten später höre ich, wie der Motor angelassen wird. Sie ziehen von dannen. Kein Überfall auf eine deutsche alleinreisende Touristin geplant!

Als es dunkler wird, ziehe ich alles zu, damit niemand reinsehen kann. Ich bin jetzt nur noch aufs Hören angewiesen. Und ich höre viel … polnische Sprachfetzen, das Gurren von Tauben (sollte ich nicht Möwengeschrei hören?), mechanische Geräusche (ich hoffe, daß hier nur jemand sein Boot auf dem Anhänger festzurrt), plötzlich Sägegeräusche. Da wird doch nicht jemand an meinem WoMo …?

Durchs Panoramafenster linse ich auf den Parkplatz. Zwei LKWs parken vor mir und ja, ein paar Männer sägen. Es ist mittlerweile 22:30 Uhr und es ist dunkel – was um alles in der Welt sägen die da? Die sehen doch nichts? Kann das legal sein?

Ich gebe zu, in dieser Nacht schlafe ich nicht wirklich gut. Ständig wecken mich Geräusche: ich vermute, die Partyfahrgemeinschaft ist zurückgekommen und hat sich wieder auf die Autos verteilt.

Am nächsten Morgen erwache ich um 7 Uhr aus einem unruhigen Schlaf. Meine „Nachbarn“ verrichten ihre Morgentoilette (wieso pinkelt der ins Feld – hier gibt es 2 Toitoi-Klos!) und kochen sich den Kaffee auf einem Campingkocher. Auf den LKWs sehe ich Tauben abgebildet. Es sind Taubentransporter! Wofür braucht man die denn? Überall werden die Tauben verjagt, hier werden sie in kleinen Käfigen transportiert.

Ein wahnsinniger Regenschauer geht runter – der erste Regen seit 4 Wochen. Hoffentlich spült er den Vogeldreck von meinem WoMo runter. Der Fernseher verliert den Satellitenempfang, so heftig regnet es. Die romantische Vorstellung, in die warme Bettdecke eingehüllt den Regentropfen zu lauschen, will sich nicht einstellen. Dafür ist mir das Geräusch noch zu fremd.

Ich kann nicht mehr schlafen und starte mit Yoga. Ich will entspannen! Jetzt! Sofort! So unter den Dachfenstern, auf die der Regen prasselt, Yoga zu praktizieren, hat schon was und die morgendliche Routine bringt mich runter.

Als ich mich fürs Frühstück richte, läßt der Regen nach, meine 4 Nachbarn kommen wieder aus ihren LKWs und was sie sprechen, klingt geschäftig. Ich höre ein Kommando und plötzlich umhüllt mich ein Schwarm aus Tauben. Die haben gerade alle Tauben aus ihren Käfigen gelassen und ungefähr 100 Tauben fliegen in einem Schwarm links und rechts an meinem Wohnmobil vorbei. Was für ein Spektakel! Ich glaube, mir blieb für einen Moment der Mund offen stehen.

Kurz vor dem Taubenflug

Der Regen hat nachgelassen, die Arbeit der Taubenzüchter ist getan und sie ziehen von dannen. Für einen kurzen Moment bin ich ganz allein in der polnischen Pampa an einem Ort, an dem mich niemand vermutet, der bei Sonnenschein mit Sicherheit großes Romantikpotenzial hat.

Das war mein 2. Freisteh-Erlebnis nach dem bevölkerten Hafen von Stettin. Technisch bin ich gut dafür ausgerüstet und könnte ein paar Tage völlig autark stehen. Woran ich jetzt arbeiten werde, ist meine mentale Gelassenheit. Die Freiheit, die ich wollte, habe ich mir genommen, jetzt will ich lernen, souverän damit umzugehen.

Freistehen #3 an einem Badesee

Meine Gelassenheit teste ich während meines drittes Freisteh-Erlebnis, dies findet an einem Badesee statt. Schon die 1,5 km Anfahrt auf Feld- und Sandweg sind ein Abenteuer. Dort ist für einen sonnigen Sonntagnachmittag entsprechend viel los. Familien verbringen die Zeit am See und baden. Gute Idee: Ich nutze die Gelegenheit ebenfalls für ein erfrischendes Bad und wasche mir den Ostseesand von der Haut.

Freistehen am Badesee

Es gibt LTE – wie überall in Polen – und sogar Satellitenempfang. So schaue ich mir abends parallel mit meinen Eltern und einigen Freunden die NDR-Sendung „Land zwischen Oder und Newa“ an, die genau meine Route an der polnischen Ostsee beschreibt und freue mich, daß es um mich herum langsam ruhiger wird.

Erneut werde ich Zeuge des nächtlichen Tatendrangs. Gegen 22 Uhr kann ich blinkendes Licht um mich herum wahrnehmen. Ich linse durch meine Verdunklung. Es wird dunkel und die Straßenwacht läßt ein Boot zu Wasser. Um diese Uhrzeit? Mein Hubbett ist auf einer angenehmen Höhe, so kann ich das Geschehen um mich herum bequem auf mein Kissen gestützt beobachten – und hoffe, daß ich unbehelligt bleibe. Mein Adrenalin steigt, als plötzlich 3 Polizeifahrzeuge auftauchen. Ich frage mich, wer nun Probleme bekommt – die Fischer/Schmuggler/Straßenwächter oder ich. Darf ich in Polen eigentlich frei stehen? Darüber habe ich mir überhaupt keine Gedanken gemacht.

Als ein LKW auftaucht, der die ganze Szenerie in gleißendes Licht taucht, bin ich hellwach – und völlig verwirrt. Mittlerweile tummeln sich rund 20 Personen vor meinem WoMo, 2 Frauen kann ich an deren Frisuren erkennen, eine davon ist mit einem Quad gekommen. Wortfetzen dringen zu mir, aber ich verstehe überhaupt nicht, was da passiert. Ich nehme ein paar Fotos auf. Gegen 23:15 Uhr kommt das Boot zurück an Land, wird wieder aufgeladen und die Meute beginnt sich aufzulösen. Um 23:30 Uhr ist der Spuk vorbei.

Langsam fährt mein Adrenalinspiegel herunter und ich merke, daß ich durchgeschwitzt bin. Es dauert lange (die Wiederholung vom Tatort), bis ich einschlafen kann.

Morgens werde ich durch den Ausblick daran erinnert, warum ich hierher gefahren bin. Der See liegt ruhig vor mir und nur einen Angler, zwei Schwäne und einen Fischreiher sehe ich beim Blick aus meinem Bett. Wie idyllisch.

Die Reifenspuren im Sand zeugen davon, was hier in der Nacht los war und meine Fotos verhelfen mir zur der Einsicht, daß ich das alles heute Nacht nicht geträumt habe.

Hast Du auch schon in der Natur übernachtet? Was hast Du dabei erlebt? Würdest Du es wieder tun?

23 Kommentare

  1. Liebe Uli,
    du erzählst das so bildlich, dass ich den Eindruck habe, mit dir zusammen im WoMo zu sein. Ich glaube nicht, dass ich auch nur ein Auge zugemacht hätte…
    Und ich bin ein Mann und fast zwei Meter groß. Pass bitte auf dich auf.

    1. Dich hätte ich gern zum Nachfragen vors WoMo geschickt, wärest Du dabei gewesen.
      Ich bin froh, daß ich alle Sicherheitsvorkehrungen getroffen habe und mich einigermaßen einigeln kann.

  2. Ohje wie gruselig, Story mit den Tauben hast du mir ja schon erzählt aber das 2, Erlebnis ist nicht weniger spannend! Hoffe du bleibst in Zukunft verschont von diesen nächtlichen Einsätzen:-)

  3. Liebe Uli, Ich habe ganz gebannt deine beiden Freistehnächte lesend miterlebt. Ziemlich aufregend und doch schön, das Aufwachen am stillen See. Ich bin neugierig auf deine weiteren Abenteuer. Viel Glück und pass auf dich auf!

    1. Die letzten Freistehnächte waren eher unspektakulär und ruhig. Oder ich werde gelassener. Ich fahr meine Sat-Antenne im Villenviertel hoch. Die Polen sind noch cooler, die fahren auch mal ganz frech ihre Markise raus (außerhalb von CPs).
      Schön, daß Du mich begleitest!

  4. Liebe Uli, oh je! Erst „Die Vögel“ und dann ein Polizeieinsatz.. Krimis brauchst Du Dir im TV wohl keine mehr anzuschauen. Das hast Du alles live und in Farbe. Ich bin froh, dass für Dich alles gut ausgegangen ist und wünsche Dir heute nacht eine angenehme Bettruhe!

    1. Hier wird mir echt was geboten. Ich hatte ja erst Bedenken, ob ich mit dem Monowheel bedenkenlos herumfahren kann. Kann ich, die Polizei hat ja anderes zu tun…

  5. Liebe Uli! Wow, da ist aber echt was los Nachts in Polen…ich hätte wohl kein Auge zugetan und habe großen Respekt vor Deinem Mut – möge er Dich stets begleiten . Aber pass wirklich auf Dich auf. Solltest Du Polen noch etwas weiter erkunden wollen, hier noch 2 Ideen/Empfehlungen: 1. Die Gegend um Gdansk/Danzig und die Stadt sollen sehr schön sein und 2. die Masurische Seenplatte – Natur pur und sehr nette Menschen (und vielleicht eine ungestörte Nachtruhe) Liebe Grüße

  6. Liebe Uli,
    das ist ja sehr spannend was Du in Polen erlebst.
    Da brauchst Du keinen Tatort mehr schauen, den Thrill kannst du ja direkt vor Deinem Womo erleben.
    Ich wünsche Dir, dass Deine nächsten Tage und Nächte deutlich entspannter werden.

    1. Lieber Horst,
      mittlerweile hatte ich auch ein paar entspannte „Freisteh“-Nächte.
      Gestern habe ich mitten im Villenviertel von Gdynia eine ruhige Nacht verbracht.
      LG, Uli

  7. Hi Uli,
    Mehr davon … ich bin live dabei und das sind die WIRKLICHen unbezahlbaren Erlebnisse, die Du niemals vergessen wirst. Schön von Dir zu lesen.
    Udo

  8. Liebe Uli,

    das sieht alles sehr gut aus und ich hatte eben das Vergnügen dich live zu begleiten.

    Ich freue mich schon auf den nächsten Artikel und die nächste Tour.

    1. Lieber Frank,
      ja, das war ziemlich cool gerade eben, gemeinsam mit Dir Sopot zu entdecken.
      Dich nehme ich gern wieder mit!
      LG und bis zur nächsten Stadtbesichtigung, Uli

  9. Hallo Uli,
    danke für deine bildhaften Erzählungen. Wir fahren bald auch an die Ostseeküste, wenn auch nur für zwei Wochen und deine Tipps finde ich schon mal klasse.
    Wenn du mal nach Irland/Nordirland fährst (sehr zu empfehlen) wirst du feststellen Freistehen ist dort sehr einfach und unkompliziert. Aber auch dort haben wir nächtliches Zuwasserlassen von Booten und Einsatzübungen erlebt.

    Weiterhin gute Reise

    Annette

    1. Hallo Annette,
      das freut mich. Ich hoffe, daß die Ostseeküste Euch genauso gefällt wie mir und Ihr das passende Wetter habt, um Euren Urlaub zu genießen. Bisher habe ich auch auf jedem Campingplatz, den ich wegen Ver- und Entsorgung angesteuert habe, einen Platz bekomme. Dafür drücke ich Euch die Daumen.
      Liebe Grüße und einen schönen Urlaub
      Uli

  10. Hallo Ulrike
    Sei nicht so verkrampft.
    Ist alles halb so schlimm, n Großteil der Menschen ist doch mehr oder weniger harmlos. Die meisten wollen einfach irgend etwas machen/feiern und haben aber leider ihren Anstand und das Hirn zuhause in der Tischlade vergessen.
    Den Stress/die Angst vor unliebsamen Überraschungen macht man sich entweder selbst oder läßt sich anderweitig suggerieren daß was schlimmes passieren könnte (meist aus irgendwelchen Vorurteilen der Eltern/Freunde/Bekannte die von irgendjemandem mal gehört haben das jemandem was passiert ist).
    Solltest du wirkliche Angst haben, stell dir nen Haarspray od. ähnliches in Griffnähe. Den in die Augen gepfeffert will auch niemand haben. Haarspray deswegen, da Pfefferspray in manchen Ländern verboten ist/unter Strafe steht. Oder nimm ne flache, aber große Dose mit Deckel und füll diese mit Pfeffer. Im Ernstfall: Deckel auf, dem Gegenüber vor die Nase halten und du mußt dann nur mehr fest reinpusten. Oder nimm dir nen Hund, muß nicht mal groß sein soll nur Bellen und knurren können. Diesen von klein auf von niemandem Anfassen lassen dann wird er n guter Wächter. Viele Menschen haben heutzutage schon schiss wenn sie nur so ne kleine Fußhupe wie meine Prager Rattler Hündin sehen.

    1. Hallo Dieter,
      na Du hast ja Tricks parat, Danke fürs Mitdenken.
      Mir ist mittlerweile auch klar geworden, daß um mich herum Wichtigeres geschieht, als daß „Einheimische“ eine harmlose Touristin behelligen. Je weiter ich in Europa nach Norden reise, desto sicherer fühle ich mich. Ich könnte auch nur auf Campingplätzen übernachten, aber ich genieße es, daß ich mich im Baltikum fast überall hinstellen darf, wo es schön ist. Und daß da auch andere Menschen hinkommen, verstehe ich vollkommen.
      Schöne Grüße – wo auch immer Du gerade stehst.
      Ulrike

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